Eine Woche Dorfleben auf dem Camino Portugues

Geschrieben von Christoph.

2014 war Christoph insgesamt 3 Monate pilgern. Wer so lange unterwegs ist, möchte auch mal irgendwo ein paar Tage bleiben. Daher entschied er sich, für einige Tage in einem kleinen Dorf in Portugal zu stoppen. Über die Magie des scheinbar tristen Dorflebens.

Einige Pilger hetzen den Jakobsweg entlang, als gäbe es nur für den schnellsten eine Urkunde in Santiago. Die meisten Menschen, habe ich das Gefühl, laufen in ihren ersten Camino-Wochen zu schnell. Ich habe das auch getan.

Mit der Zeit merkt man das meist. Wer länger unterwegs ist, öfters pilgern geht oder nicht unter Zeitdruck steht,  der lernt dann oftmals auch die Magie des langsamen Pilgerns kennen. So ging es mir im Sommer 2014, als ich für insgesamt 9 Wochen am Stück auf dem Jakobsweg unterwegs war.

Ich ließ mir Zeit, lernte Einheimische und Mitpilger kennen, traf andere Reisende, die an der Küste Urlaub machten. Führte lange Tagebuch, las, blieb schon mal den ein oder anderen Tag an einem schönen Flecken. Pilgern kann mehr sein, als nur Kilometer abspulen.

So kam es auch, dass ich mehr als eine Woche in einem kleinen unscheinbaren „Kaff“ entlang des Jakobswegs in Portugal verweilte. In Vila Cha, etwa 30 Kilometer nördlich von Porto.

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Ich war den Küstenweg in Nordspanien gelaufen und wollte danach auch noch den portugiesischen Jakobsweg kennenlernen. Doch kaum war ich in Portugal, merkte ich, dass die vielen Wochen und Eindrücke des spanischen Küstenwegs erst einmal verarbeitet werden wollten.

Zudem wurde ich krank. Mein Körper signalisierte mir also, dass er definitiv eine Pause wollte. Und da ich gerade in Vila Cha war und dort in der Pension Sandra y Tony (Straße Rua do Facho 34, Tel. +351 229 283 634) gut aufgenommen wurde, entschied ich mich, zu bleiben.

Die folgenden 10 Tage, die ich etwa dort war, waren sehr spannend – und kontrastreich zu den intensiven, dichten, actionreichen Pilgertagen und Pilgerwochen zuvor. Statt zwei Dutzend Kilometern am Tag mit immer neuen Landschaften, Herbergen und Eindrücken, war hier das Gegenteil der Fall:

Eine kleine Pension samt angeschlossener Bar, wo nur eine Handvoll Portugiesen aus dem Dorf verkehrten, dich sich allesamt kannten, Nachbarn waren. Zwei Tante-Emma-Läden im Dorf, die nicht immer geöffnet hatten. Zwei weitere Bars. Einige Wohnhäuser. Das Meer nur ein paar Meter entfernt. Es war übersichtlich und reizarm.

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Man hätte meinen können, es sei langweilig. Doch nach vielen Wochen Pilgern war es genau das, was ich suchte. Ein Ort zum Ankommen. Ein Ort, um die Erlebnisse sacken zu lassen. Um die innere Pilgerreise nachzuvollziehen. Um Gedanken zu sortieren.

Ich genoss das scheinbar triste Dorfleben. Ich knüpfte Kontakt zu den paar älteren Portugiesen, die abends ihr Bier in der Dorfkneipe tranken. Nach wenigen Tagen gehörte ich dazu, war einer von ihnen. Schaute mit ihnen gemeinsam Fußball oder saß einfach auf der Terrasse und trank Kaffee, ging ans Meer oder las in einem Buch.

Ein paar Mal am Tag machten ein paar Pilger Station in der Bar Sandra y Tony, die zu meiner Pension gehörte. Die meisten machten nur Pause und tranken einen Kaffee, bevor sie dann weiterzogen. Einige wenige blieben auch für die Nacht und aßen mit mir zusammen zu Abend.

Fernando und seine Frau Perpietra, ein älteres Ehepaar, die die Bar und Pension gemeinsam mit ihrer Tochter führten, bekochten uns deftig portugiesich und wir tauschten Pilgererinnerungen und Erfahrungen aus. Morgens zogen die Pilger weiter, ich blieb in Vila Cha.

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Einmal war ich beim Dorffriseur, einem fast 80 Jährigen Portugiesen, der den Dorfbewohnern auch in seinem hohen Alter immer noch die Haare schnitt, in seinem Wohnhaus. Er stutze mir den Bart, der nach den vielen Wochen nun wirklich lang geworden war, mit einem alten Messer.

Ein anderer Portugiese, Lopez, der auch Englisch konnte, und den Sommerurlaub in seiner Heimat verbrachte, während er sonst in Paris und anderen Städten im Ausland jobbte, hatte mir den Tipp mit dem alten Dorffriseur gegeben.

Kein Pilger, der Vila Cha in 5 Minuten durchquert hätte, für den dieser Ort nur einer von vielen auf seiner Tagesetappe ist, hätte je von diesem Friseur Notiz vernommen. Für ihn wäre es nur ein weiterer kleiner Ort auf dem Camino gewesen. Das sind die kleinen Geheimnisse, die man nur erfährt, wenn man irgendwo bleibt und für eine Weile eintaucht.

Die ältere Frau aus dem Dorf, die auch Deutsch sprechen konnte und ein paar Mal die Woche mit ihrer Enkelin in der Bar auftauchte. Der dunkelhäutige Student, der nebenan wohnte und ebenfalls Deutsch sprach (er ist auf dem Foto unten).

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Lopez, der mir den Friseur vermittelte und die Abende vor dem TV in der Bar verbrachte, sehnsüchtig darauf wartend, dass sein Arbeitgeber ihn wieder brauchte und diesmal nach Amsterdam oder sonstwohin zur Montage schickte.

Die älteren Portugiesen, die nicht viel sagten, aber mich nach ein paar Tagen ebenso wie die anderen Männer in der Bar mit Handschlag begrüßten. Sie alle ließen mich eintauchen in das portugiesische Dorfleben. Unterwegs sein ist schön. Ankommen auch.